Harry Potter Welt

Implodiert die Welt von Harry Potter, weil sie zu groß wird?

Im Vorfeld zu Fantastic Beasts and Where to Find Them erweitert Joanne K. Rowling ihre magische Welt fleißig. Zuletzt wurden neue Zaubererschulen vorgestellt. Dabei ist es höchst zweifelhaft, ob das dünne Fundament ein aufgeblähtes Harry Potter Universum tragen kann.

Manche Werke entführen uns ins völlig andere Universen, manche führen uns hinter die Kulissen unserer eigenen Welt. Beides fasziniert uns. Harry Potter nahm uns mit in die versteckte, magische Welt der Zauberei, die gut verborgen mit unserem grauen Alltag koexistieren soll. Wer hat nicht davon geträumt, als Kind einen Brief aus Hogwarts zu bekommen? Rowlings Geschichten sind eine charmante Mischung aus Lektionen über Freundschaft und Verantwortung und dem Bedürfnis nach Eskapismus.

Sie funktionieren, weil sie auf bekannten Topoi aus dem Jugendbuchbereich aufbauen (etwa dem britischen „Boarding School“ Genre) und weil Harrys Welt in ihren Ausmaßen begrenzt ist. Das ist auch besser so, denn sie ist so voller Widersprüche klaffender Logiklöcher, dass sie einer genauen Überprüfung nicht lange standhält. Für die Romane muss sie das aber nicht, auch wenn Rowling mit jedem Buch versucht hat, die Welt erwachsener und plausibler wirken zu lassen.

Die neuen Schulen verursachen erste Risse in der Harry Potter Welt

Jetzt geht es aus dem kuscheligen Hogwarts in die weite Welt: Rowling persönlich hat auf Pottermore.com erklärt, dass es elf Schulen vom Range eines Hogwarts auf dem ganzen Erdball gibt. Von Beauxbatons (Frankreich) und Durmstrang (Nordosteuropa?) wissen wir seit Harry Potter und der Feuerkelch. Drei weitere Schulen haben auf Pottermore.com bereits ein Profil erhalten: Mahoutokoro (Japan), Uagadou (Uganda) und Castelobruxo (Brasilien). Für die Schule Ilvermorny aus Nordamerika (ob Kanada oder USA ist noch offen) ist bereits ein Platz vorgesehen – im Zuge des Marketings für Fantastic Beasts gibt es sicher bald ein Update.

Harry Potter Welt
Castelobruxo, die südamerikanische Zaubereischule im Amazonasbecken. (c) Pottermore Limited

Dabei könnte die Internationalisierung zur Stolperfalle werden. Schon die Namensfindung wirkt ein bisschen zu simpel für traditionsreiche Hogwarts-Pendants: „Mahoutokoro“ ist eine einfache Kopplung von Mahou (Magie) und Tokoro (Platz) und bedeutet damit nichts weiter als „Magischer Platz“. Etwas fantasielos für Japan, das über Jahrhunderte immer neue Blütezeiten von Kunst und Kultur erlebt hat. „Castelobruxo“ bedeutet übersetzt „Zaubererschloss“ (Castel + Bruxo). Selbst „Schweinswarze“ (Hog + Wart) ist da poetischer.

Je größer die Welt wird, desto mehr Fragen drängen sich auf

Und während sich Rowling mit dem Hogwarts-Mikrokosmos auf vertrautem britischen Terrain bewegte, mit englischen Gesellschaftsklischees und britischer Mythologie spielen konnte, besteht bei den internationalen Schulen das Risiko, sich in Oberflächlichkeiten zu erschöpfen. Castelobruxo wird auf Pottermore.com beispielsweise als Steinpyramide dargestellt, die offensichtlich an die Architektur der Maya oder Azteken angelehnt ist – so etwas hat es aber im Amazonasbecken nie gegeben.

Je größer Rowlings Welt wird, desto mehr Fragen drängen sich auf. Wie werden eigentlich internationale Reisen reglementiert (Stichwort: Apparieren)? Wie wurden die magischen Gesellschaften in den verschiedenen Ländern von geopolitischen Entwicklungen wie der Kolonialisierung geprägt? Auch die Implikationen für die Bücherreihe sind problematisch: Wenn es eine „International Confederation of Wizards“ gibt, wieso hat sich dann von außen niemand eingeschaltet, als Voldemort faktisch die magische Regierung seines Landes übernahm?

Viele Details und ein möglichst großer Kontext sind wichtige Zutaten für glaubwürdige fiktive Welten. Aber wenn mehr Informationen die Integrität bedrohen, belässt man es lieber bei einem kleineren Umfang. Spätestens im November werden wir erfahren, wie Rowlings magische Welt mit neuer Ausdehnung in Raum und Zeit funktioniert: Dann startet Fantastic Beasts and Where to Find Them im Kino.


Titelbild: (c) Warner Bros.

15 Gedanken zu „Implodiert die Welt von Harry Potter, weil sie zu groß wird?“

  1. Die Bedenken kann ich absolut nachvollziehen, aber wer die bei Warner Bros. & Konsorten geäußert haben wird, trägt dieser besagten Harry Potter-Welt auch wohl nichts mehr bei – weil gegangen worden. Die Maschinerie ist angelaufen, aber läuft mit einem ziemlich guten Schmiermittel: (fast) bedingungslose Akzeptanz durch die Fans. Ich persönlich zähle mich auch dazu, bin vielleicht nicht stolz darauf, die Kritikerin in mir dann bisweilen stumm schalten zu müssen, aber hey – irgendein guilty pleasure hat wohl jeder… 🙂

  2. >>Wenn es eine „International Confederation of Wizards“ gibt, wieso hat sich dann von außen niemand eingeschaltet, als Voldemort faktisch die magische Regierung seines Landes übernahm?

    Das ist wohl ziemlich einfach zu beantworten: Schau dir das tagespolitische Geschehen unserer Realität an.
    Wer hat sich eingeschaltet, als Hitler in Deutschland die Macht übernahm? Es hat ewig gedauert, bis die Alliierten Deutschland den Kampf ansagten.
    Wer schaltet sich heutzutage ein, gegen Assad oder den IS in Syrien vorzugehen? 😉

    Diktatoren und Bösewichte dürfen leider immer sehr lange schalten und walten, bis mal etwas passiert. Wieso sollte die Politik bei den Zauberern anders ablaufen? Im Gegenteil: In den Büchern versucht sogar das britische Zaubereiministerium sehr lange, Voldemorts Rückkehr zu vertuschen. Und wenn die Briten selbst behaupten „Da ist doch gar nix“, wieso sollten dann die Nachbarländer aktiv werden?

    Generell denke ich, dass es zu früh ist, über ein Implodieren der Harry-Potter-Welt nachzudenken. Wir sollten abwarten, was auf Pottermore noch kommt und vor allem, wie die beiden wirklich großen Stücke – Cursed Child und Fantastic Beasts – sich einfügen. Artikel über Schulen sind zu klein, als dass wir da etwas ablesen könnten.

    1. Die Zaubererpolitik in Harry Potter scheint mir doch etwas schlichter zu sein als die Probleme unserer realen Diplomatie 😉

      Es gibt natürlich noch viel mehr Logiklöcher in Harry Potter, das war nur ein Beispiel. Und ich habe keinen großen Spaß daran, sie aufzudecken, denn die Welt der Zauberei genießt man am besten, wenn man sich einfach darauf einlässt.

      Allerdings wird das schwieriger, je weniger logisch größere Zusammenhänge erscheinen. Das Risiko dafür steigt natürlich, je mehr Zusammenhänge sich herstellen lassen, sprich je mehr Material vorhanden ist. Es zeichnet sich einfach ein gutes Beispiel für eine Welt ab, die zu wenig durchdacht ist, um in dieser Größe noch zu funktionieren. Aber vielleicht muss ich mich in ein paar Monaten korrigieren und alles zurücknehmen (ich hätte nichts dagegen!).

      1. >>Die Zaubererpolitik in Harry Potter scheint mir doch etwas schlichter zu sein als die Probleme unserer realen Diplomatie

        Unterschätz das mal nicht. Gerade was den Aufstieg Voldemorts angeht, spiegelt Harry Potter sowohl in der Thematik, als auch im Ablauf sehr genau den Aufstieg vergleichbarer realer Gruppen wie eben der Nazis.
        In den Filmen kommt die politische Komponente bei HP zugegeben kaum durch, in den Büchern ist sie aber sehr präsent. Es gibt politische Intrigen, versuche des Ministeriums, die vollständige Kontrolle über das Schulwesen zu gewinnen (das gipfelt dann in Umbridge, fängt aber schon viel früher an, etwa wenn Lucius Malfoy mit dem Ministerium im Rücken Dumbledore im 2. Band absägt oder das Ministerium im 3. Band Dementoren aufs Schulgelände schickt), es gibt Feindbilder (Werwölfe z.B., aber in gewisser Weise auch muggelstämmige Zauberer), Opportunisten, Wendehälse, Politiker wie Malfoy die sich immer rausreden können, Denunziantentum, Bürgermilizen (man denke an die Greifer aus Band 7) – und einen Zaubereiminister, der Angst um sein Amt hat. Fast alles, was Cornelius Fudge in Punkto „Voldemort-Krise“ tut, ist zu versuchen, im Amt zu bleiben – Fudge geht gezielt gegen Dumbledore vor, weil er in Dumbledore einen politischen Feind sieht. Sein Nachfolger Scrimgeour tut übrigens auch erst mal nichts anderes, als gegen Dumbledore vorzugehen – und gleichzeitig wird im Buch sogar erwähnt, dass Scrimgeour als ehemaliger Auror darum zum Minister wird, weil man glaubt, er könne besser nach außen hin den starken Mann mimen -> kein Wort davon, dass er der bessere Mann wäre, um Voldemort das Handwerk zu legen. Es gibt ja auch darum keine Zusammenarbeit des Ministeriums mit Dumbledore, weil man in ihm einen politischen Feind sieht – und man glaubt, Dumbledore selbst würde einen Putsch vorbereiten (–> man denke an „Dumbledores Armee“).
        Politik ist in Harry Potter ein im Hintergrund immer omnipräsentes Thema. Natürlich tritt sie nicht in den Vordergrund, weil die primäre Umgebung von Harry nun einmal die Schule ist (und er zumindest anfangs als 11jähriger auch wenig mit Politik am Hut hat), aber sie schwingt immer mit und ist durchaus komplex.

        Zum Thema Logiklöcher: Natürlich gibt es Logiklöcher in Harry Potter. Die gibt es überall. Wie Tolkien schon so schön über seinen Herrn der Ringe sagte: „This tale grew in the telling.“ So ist es nun einmal mit jedem fiktiven Universum, jede Welt wächst und wird mit dem Erzählen komplexer – und damit für Logiklöcher anfällig, natürlich. Harry Potter ist da keine Ausnahme. Aber gerade was Voldemort und die Politik angeht, ist Harry Potter sehr solide gestrickt.

        >>Es zeichnet sich einfach ein gutes Beispiel für eine Welt ab, die zu wenig durchdacht ist, um in dieser Größe noch zu funktionieren. Aber vielleicht muss ich mich in ein paar Monaten korrigieren und alles zurücknehmen (ich hätte nichts dagegen!).

        „Es zeichnet sich ein gutes Beispiel ab“ – deine Sprache verrät dich ;). Noch ist nichts entschieden. Wir haben mit Harry Potter ein in 7 Büchern sehr gut konstruiertes, gut durchdachtes Werk vor uns. Wir haben Pottermore, das uns mit vielen kleinen Zusatzinformationen zu diesen 7 Büchern versorgt. Noch ist alles kompakt, noch ist alles klein. Was sich abzeichnet, ist eine Erweiterung der Welt. Eine Erweiterung, über die wir noch so gut wie gar nichts wissen. Darauf zu schließen, wie sich diese Erweiterung gestaltet – und welche Logiklöcher sich auftun werden – ist verfrüht, denn wir haben dafür schlichtweg noch keine Basis.
        So von Weltenbau-Blogger zu Weltenbau-Blogger muss ich einfach sagen: Seriöser wäre es, abzuwarten, was kommt und dann zu analysieren , nicht im Vorhinein zu spekulieren ;-). Was haben wir denn jetzt schon in der Hand? Eine Schule, die nicht da steht, wo wir in der Realität solche Bauten stehen haben? Das kann man sicher mit interner Logik lösen, wenn wir mehr wissen. Zwei vielleicht nicht ganz so einfallsreich gebildete Schulnamen? Das ist zu wenig Beweis – und auch kein guter, denn Namen sind in der Realität selten einfallsreich. Ich stamme beispielsweise aus einer Ortschaft, die auf Hochdeutsch übersetzt „Ecke“ heißt, aus dem simplen Grund, dass da ein Fluss eine Biegung macht. Und solche Beispiele gibt es viele 😉

        1. Erstmal danke für den engagierten Kommentar! Ich habe die Bücher natürlich gelesen und weiß, wie Rowling mit Rassismus, Duckmäusertum, Bürokratie und falsch verstandenem Konformismus umgeht. Die Anleihen an den Nationalsozialismus und andere faschistische Philosophien sind ja überdeutlich. Dass sie diese Themen in solcher Tiefe einwebt, rechne ich ihr hoch an – vor allem mit Blick auf die Zielgruppe Kinder und Jugendliche. Allerdings habe ich darauf gar nicht abgezielt: Die komplexe politische Situation in Syrien lässt sich einfach nicht mit der Parallelwelt der Zauberer in Harry Potter vergleichen. Das war alles. 😉

          Politik ist in Harry Potter ein im Hintergrund immer omnipräsentes Thema. Natürlich tritt sie nicht in den Vordergrund, weil die primäre Umgebung von Harry nun einmal die Schule ist […]

          Das ist auch besser so, denn die Implikationen des Zaubereiministeriums beziehungsweise der politischen Situation sind ganz schön problematisch. „Ministerium“ impliziert, dass es sich um eine Kabinettsfunktion handelt, aber wir erfahren in den Romanen, dass sich der britische Premierminister praktisch gar nicht für die Belange des Ministeriums insteressiert – oder wer Minister ist. De facto ist das Ministerium eine Selbstverwaltung ohne demokratische Legitimation, die mit Muggeln bereits so umspringt wie sie es möchte: Es gibt professionelle Erinnerungslöscher, die einfach so in das Gedächtnis (die privateste Privatsphäre!) von Muggeln eindringen. Regierungsfunktionen sind auch für eine Zauberergesellschaft wichtig, aber das Ministerium wird nie als nötig, sondern stets als potenziell gefährlich dargestellt – ob erst durch Inkompetenz oder später wie von dir beschrieben durch Missbrauch.

          Es gibt […] versuche des Ministeriums, die vollständige Kontrolle über das Schulwesen zu gewinnen

          Wenn das Ministerium richtig organisiert wäre, sollte das eine Selbstverständlichkeit sein! Vielleicht stünden dann auch endlich Geschichte, Mathematik und Naturwissenschaften auf dem Lehrplan, anstatt ausschließlich magische Fächer. Wer als Zauberer geboren wird, muss offenbar für immer ohne Allgemeinbildung auskommen. Wie absurd wäre es, wenn in der realen Welt jeder Schulleiter wie Dumbledore einem Fürsten gleich über seinen eigenen Campus herrschen würde?

          Aber das greift viel zu weit. Natürlich stehen auf dem Lehrplan Verwandlung und Verteidigung gegen die dunklen Künste, weil ein zentrales Motiv der Bücher die Flucht aus unserem grauen Alltag ist. Durch Harrys Augen erleben wir, was wir viel lieber in der Schule erlebt hätten, anstatt Gedichte zu interpretieren oder Physik zu pauken: Magie. Deswegen ist Dumbledore auch eine Autorität, die dem Zaubereiminister (die Personifikation von Regeln und Langeweile) die Stirn bieten kann, deswegen gelingt ein paar Kindern (und später Teenagern) auch immer wieder der Sieg gegen organisierte, voll ausgebildete Erwachsene, die Zugriff auf immense Ressourcen haben: Harry Potter begann als Kinderbuch. In dieser Welt muss nicht alles logisch erklärbar sein, trotzdem ist sie unfassbar fantasievoll, faszinierend und detailreich.

          Wie Tolkien schon so schön über seinen Herrn der Ringe sagte: „This tale grew in the telling.“ So ist es nun einmal mit jedem fiktiven Universum, jede Welt wächst und wird mit dem Erzählen komplexer – und damit für Logiklöcher anfällig, natürlich.

          Der Vergleich von Tolkien und Rowling hinkt, denn dessen Welt entstand nicht erst während der Arbeit an seinen Geschichten. Ich liebe die Welt von Harry Potter, aber sie bringt nach objektiven Weltenbaukriterien nicht alle Zutaten mit, die eine glaubwürdige Welt braucht. Ich behaupte aber, dass für Harry Potter gar nicht der Versuch unternommen wurde, eine voll funktionierende, komplexe, plausible, gut durchdachte Welt zu schaffen, sondern eine magische Welt, die neben Eskapismus vor allem eine faszinierende Bühne für eine exzellente Geschichte bieten sollte – und die oft auch als Gleichnis zu unserer Welt angelegt ist. Aus dieser Perspektive schmälert man auch keineswegs die bemerkenswerte kreative Leistung von Rowling.

          Doch die neuen Schulen sind einer der Schritte, diese magische Welt nachträglich doch noch auf ein Komplexitätsniveau zu heben, für das sie nie vorgesehen war. Immer mehr Erklärungen werden nachgeliefert und immer mehr Zusammenhänge hergestellt. Wenn eine Welt nicht von innerer Logik abhängig sein soll, hilft es, Details offen zu lassen, vage zu bleiben und die Perspektive der Leser/Zuschauer zu begrenzen. Man kann schließlich nur über Logikprobleme oder Widersprüche stolpern, wenn man überhaupt auf sie aufmerksam wird. Aber dieses Risiko steigt, je mehr wir erfahren.

          „Es zeichnet sich ein gutes Beispiel ab“ – deine Sprache verrät dich

          Stimmt. Aber das habe ich ja bereits am Ende vom Artikel geschrieben: „Spätestens im November werden wir erfahren, wie Rowlings magische Welt mit neuer Ausdehnung in Raum und Zeit funktioniert: Dann startet Fantastic Beasts and Where to Find Them im Kino.“ Vielleicht geht ja alles gut, aber es lohnt sich, über den Weltenbau von Harry Potter zu diskutieren. Wieso nicht jetzt schon, immerhin haben wir bereits sieben Bücher 😉

          1. Vorausgeschickt: Ich bin ja in vielen Punkten ganz bei dir – aber vieles von dem, was du hier aufführst, fehlt in deinem Artikel und hätte da von Anfang an drinstehen sollen 😉
            Natürlich ist Harry Potter eine Welt mit Logiklöchern – es ist eine allegorische Welt, die viele Anleihen an unserer nimmt, sie entfremdet und gleichzeitig wichtige Themen prototypisch behandelt. Dass so etwas in einem Kinder- und Jugendbuch passiert, muss man Rowling hoch anrechnen, auch da bin ich ganz bei dir.
            Mein Einwand bezog sich eher auf einige ganz bewusst von dir herausgegriffene Aspekte.
            Ich werde mir auch jetzt noch einmal kurz die Freiheit nehmen, mir die Rosinen herauszupicken, bei denen ich nicht einverstanden bin – das, wozu ich nichts sage, da hast du meine volle Zustimmung!

            „Die komplexe politische Situation in Syrien lässt sich einfach nicht mit der Parallelwelt der Zauberer in Harry Potter vergleichen. Das war alles. 😉“

            Es ging mir nicht darum, die Situation in Syrien mit Harry Potter gleichzusetzen. Mein ursprünglicher Punkt war deine Frage, wieso beim Aufstieg Voldemorts niemand aus der internationalen Zauberergemeinschaft eingegriffen hat. Und das hat nun einmal tatsächlich seine realen Vorlagen bei fast jedwedem nationalen Konflikt. Internationale Gemeinschaften sind wahnsinnig träge, was das eingreifen angeht – in Nazideutschland, im Bosnien-Krieg, in Syrien. Es wird immer lange abgewartet, ehe etwas passiert. Grundproblem ist ja schon: Es muss erst eskalieren, sonst hat man keinen Grund einzugreifen! Und wenn die internationale Zauberergemeinschaft ebenfalls abwartet, dann ist das nur realistisch (auch angesichts dessen, dass Voldemorts Rebellion zum Zeitpunkt von Band 7 noch läuft und nicht abgeschlossen ist). Das war mein Punkt, nicht mehr. Ich wollte nicht andeuten, dass der Syrienkonflikt an sich so einfach gestrickt ist wie Harry Potter.

            „„Ministerium“ impliziert, dass es sich um eine Kabinettsfunktion handelt, aber wir erfahren in den Romanen, dass sich der britische Premierminister praktisch gar nicht für die Belange des Ministeriums insteressiert – oder wer Minister ist. De facto ist das Ministerium eine Selbstverwaltung ohne demokratische Legitimation“

            Der Begriff „Ministerium“ ist wohl einfach unglücklich gewählt. De facto ist das Zaubereiministerium die unabhängige Regierung einer Parallelgesellschaft und hat rein gar nichts mit „Muggelpremier“ und dessen Regierung zu tun. Es ist nicht das Problem, dass sich der Premier nicht dafür interessiert, sondern er hat gar keinen Einfluss auf das Zaubereiministerium. Der Zaubereiminister schaltet und waltet ja, wie er will – was natürlich zu den von dir genannten Problemen führt, da bin ich ganz bei dir.

            „Wenn das Ministerium richtig organisiert wäre, sollte das eine Selbstverständlichkeit sein! Vielleicht stünden dann auch endlich Geschichte, Mathematik und Naturwissenschaften auf dem Lehrplan, anstatt ausschließlich magische Fächer. Wer als Zauberer geboren wird, muss offenbar für immer ohne Allgemeinbildung auskommen. Wie absurd wäre es, wenn in der realen Welt jeder Schulleiter wie Dumbledore einem Fürsten gleich über seinen eigenen Campus herrschen würde?“

            Ich glaube, hier haben wir jetzt ein Missverständnis produziert.
            Die Versuche des Ministeriums, Kontrolle über die Schule zu übernehmen, haben nichts mit der Vereinheitlichung von Lehrplänen oder irgendeinem Bildungsanspruch zu tun. Stattdessen geht es dem – demokratisch nicht legitimierten 😉 – Ministerium darum, hier zu indoktrinieren und gleichzuschalten. In dieser Hinsicht ist Cornelius Fudge nicht besser als später Lord Voldemort, der dann ja auch versucht, über Snape als Schulleiter die nächste Generation Todesser auszubilden.
            Dumbledore ist auch nicht nur Schulleiter – er ist eine einflussreiche politische Persönlichkeit. Fudge fürchtet, Dumbledore könnte seine Schüler so indoktrinieren, wie es Fudge gern tun würde. Das ist da der Konflikt – und wenn man sich ansieht, wie etwa in der Realität die Nazis das Schulwesen für ihre Zwecke missbraucht haben, liegt er auch auf der Hand.

            Was die Allgemeinbildung angeht: Man kann über den Sinn und Unsinn des Fächerkanons in Hogwarts streiten. Braucht ein Magier Kenntnisse der Physik? Wie sieht Allgemeinbildung in einer Welt aus, die ganz anders abläuft als die Realität?
            Schlussendlich kommen Schüler erst mit 11 nach Hogwarts, können da schon schreiben und rechnen. Muggelstämmige lernen das in Muggelschulen. Was machen Zaubererkinder? Haben die Unterricht daheim von den Eltern? Hier tun sich natürlich sehr viele Logiklöcher auf.
            Was man festhalten kann, ist, dass auch der Fächerkanon politisch motiviert ist: Das Fach „Muggelkunde“, wo man die von dir geforderte Allgemeinbildung noch verorten könnte (bewusster Konjunktiv, wir erfahren wenig über dieses Fach im Buch!), ist erstens sehr unbeliebt unter den Zauberern („Wozu verrückten Muggelkram lernen?“), was uns ja auch wieder die Einstellung der Zauberergesellschaft gegenüber Muggeln zeigt, und zweitens das erste, was dann Voldemort an der Schule streichen lässt.

            „Der Vergleich von Tolkien und Rowling hinkt, denn dessen Welt entstand nicht erst während der Arbeit an seinen Geschichten.“

            Das mit Tolkien war wohl unglücklich: Ich wollte nicht vergleichen, ich wollte anhand von Tolkiens sehr schönem Ausspruch einfach nur illustrieren, wie schnell so etwas aus dem Ruder laufen kann. Eine Anekdote, mehr nicht.

          2. Ich glaube wir sind uns weitgehend einig, es bringt uns jedenfalls nicht voran, über alle Details der Welt einzeln zu diskutieren und zu versuchen, sie innerweltlich zu erklären (oder zu entlarven). Ich bleibe bei meinem Standpunkt, dass Rowlings Welt der Zauberei zwar faszinierend ist, aber nicht als plausible, hochkomplexe Welt funktioniert. Und dass das immer deutlicher wird, je größer sie wird.

            Jetzt bleibt noch zu hoffen, dass sich Leser dieses Artikels bis hierhin vorarbeiten, damit das vielleicht noch etwas nachvollziehbarer wird 😉

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