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Der lange Weg zur Welt von Warcraft

Die epische Welt von Warcraft bekommt mit dem Schritt auf die große Leinwand für viele Fans endlich die Bühne, die sie verdient. Doch bis das Fantasy-Universum seine heutige Größe, Komplexität und innere Logik erreicht hatte, sind mehr als 20 Jahre vergangen. Eine Rekonstruktion.

Heute umfasst der Warcraft-Kosmos zwei Hauptplaneten mit eigenen Kontinenten und Meeren, einer der beiden existiert sogar quasi zeitgleich in verschiedenen Zeitlinien. Menschen, Orks, Zwerge, Elfen, Untote, Trolle und viele weitere intelligente Spezies bevölkern deren Länder und metaphysische Zwischenwelten wie den Wirbelnden Nether und den Smaragdgrünen Traum. Für Einzelne ist es praktisch unmöglich geworden, die Welt von Warcraft in allen Details zu überblicken.

Die Geschichte dieses gewaltigen Warcraft-Universums ist eine Geschichte der Suche nach einer eigenen Designsprache, von Widersprüchen und Retcons. Dabei wäre Warcraft um ein Haar gar keine Fantasy-Spielereihe geworden.

Achtung: Bei diesem Thema lässt es sich nicht vermeiden, über die Zusammenhänge und Ereignisse in der Welt von Warcraft zu sprechen. Auch wenn ich Spoiler so weit es geht vermeide, sollten alle, die den Kinofilm ohne Vorwissen und völlig unvoreingenommen ansehen möchten, hier aufhören. Wer einige der Warcraft-Spiele oder auch „nur“ World of Warcraft kennt, kann bedenkenlos weiterlesen.

Eine Verkettung glücklicher Umstände

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Spieleentwicklung in den Neunzigern: Das Blizzard-Team kurz vor der Entwicklung von Warcraft: Orcs & Humans. (c) Blizzard Entertainment

1994 sitzen einige Angestellte in einem Meeting und diskutieren die Vermarktung ihres aktuellen Projekts. Sie arbeiten für eine Firma, die drei Jahre vorher unter dem Namen Silicon & Synapse gegründet worden war, dann kurz Chaos Studios hieß und vor kurzem in Blizzard Entertainment umgetauft wurde. Ihr Projekt heißt „Warcraft“ und ist ein Echtzeit-Strategiespiel. Davon gibt es erst ein oder zwei und sie wollen die Zukunft ihrer Firma auf diese Marke bauen. Nur was für ein Thema das Spiel haben soll, ist noch strittig.

Einer der Firmengründer will eine Spielereihe mit historischem Anstrich etablieren.

Allen Adham, einer der Firmengründer, will eine Spielereihe mit historischem Anstrich etablieren, im Regal erkennbar an markanten weißen Boxen: Warcraft: Das Römische Reich, Warcraft: Vietnam, und so weiter. Zwei der anwesenden Grafiker, Ron Millar und Sam Didier, schmeckt das überhaupt nicht. „Sie liebten Fantasy-Spiele wie Warhammer und Dungeons & Dragons“, erinnert sich Patrick Wyatt in seinem Blog. Wyatt hatte den Code für die nackten Spielmechanismen von Warcraft geschrieben.

Millar und Didier schleusen ihr Lieblingsgenre über das Thema Innovation und Wiedererkennungswert ein: Eine Fantasy-Welt bevölkert von Orks und Menschen böte doch viel mehr Freiräume für einen Grafikstil mit Charakter. Der Vorschlag setzt sich durch.

Was dann folgte, war das Gegenteil von systematischem Weltenbau: Weder wurden zunächst die Grundsteine für die Kosmologie der Welt gelegt, noch scherte man sich sonderlich um neue Ideen. Das Team stand unter Druck, alle Designentscheidungen richteten sich zuvorderst nach den Spielmechaniken. „Ich schnappte mir einige der ersten Ideen von Allen und die Szenario-Designs von Ron Millar und versah alles mit Namen, die ich mir einfach aus den Fingern sog, à la ‚Ich glaube das hier nenne ich Stormwind Keep!'“, erinnert sich Stu Rose, ein weiterer Designer, im Buch „Stay Awhile and Listen“. Im Tandem mit Millar stampfte er das Königreich Azeroth aus dem Boden, das Schauplatz einer Ork-Invasion wird – die Geschichte von Warcraft: Orcs and Humans ist geboren.

Die Welt von Warcraft I

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Das Königreich Azeroth anno 1994: damals die ganze Welt von Warcraft. (c) Blizzard Entertainment

Rose und Millar bedienten sich freimütig bei allen Stereotypen, die die Fantasy in den Neunzigern dank des Zenits von Pen-&-Paper-Rollenspielen wie Dungeons & Dragons zu bieten hatte: Brutale Ork-Horden ziehen gegen noble menschliche Ritter in einer Art magischem Mittelalter in die Schlacht. Zauberer beschwören Wasserelementare und Riesenskorpione, Hexenmeister der Orks Feuer und Dämonen. Oger, Skelette, Riesenspinnen, Schleimwesen und Feuerelementare werden ebenfalls Teil der Welt. Andere mögliche Bewohner wie Echsenmenschen, Hobgoblins und Halblinge werden nur wegen mangelnder Ressourcen gestrichen. Das Ergebnis: eine charakterlose Soße aus mehr oder minder geklauten Ideen.

Der Grundkonflikt Menschen gegen Orks sollte ein Markenzeichen der Warcraft-Spiele werden.

Doch charakteristisch für ein fiktives Universum sind nicht nur sein Setting und seine Bewohner, sondern auch ihre Darstellung und was sie erleben. Und wo sich das Team von Blizzard beim munteren Zusammenklauben der Kernelemente nicht gerade mit Ruhm bekleckert hatte, konnte es in diesen Kategorien punkten: Der Grundkonflikt Menschen gegen Orks sollte ein Markenzeichen der Warcraft-Spiele werden und das Portal, durch das die Orks nach Azeroth kamen, zum Dreh- und Angelpunkt des Warcraft-Kosmos. Noch wichtiger aber war der grafische Stil von Warcraft: Orks & Humans.

„Wir haben es anfangs mit einem realistischeren Look probiert. Aber im Spiel wirkte dieser Realismus dünn und langgezogen und hatte überhaupt keine Ausstrahlung. Also haben wir die Charaktere zusammengestaucht, damit sie aus der Kameraperspektive besser aussahen, und plötzlich wirkten sie cool und mächtig“, erklärt Grafiker Didier in „Stay Awhile and Listen“. Wuchtige Fantasy-Krieger wurden zu seinem Markenzeichen – und zum „Blizzard-Look“. Zusammen mit der unverschämt bunten Farbgebung bekam die Welt von Warcraft einen comichaften Anstrich, der auch im Weltenbau wieder neue Perspektiven eröffnete: Eine Welt, die sich schon in ihrem Aussehen nicht bierernst nimmt, bekommt automatisch mehr Freiraum für schräge Ideen. Ein Glücksfall für die in Klischees gefangenen Bewohner der Warcraft-Welt, die sich in kommenden Spielen von ihrem generischen Erbe emanzipierten durften.

Welt von Warcraft Orks
Vom Pixelschlachtfeld in Warcraft: Orcs & Humans (oben) zum Charaktermodell in World of Warcraft: Den knallbunten, comichaften Look hat sich die Welt bewahrt. Inspiration haben sich die Blizzard-Grafiker zweifelsohne auch vom Tabletop Warhammer geholt, dessen Orks schon damals knapp ein Jahrzehnt lang grün waren – und von dem Blizzard fast eine Lizenz für sein Spiel eingekauft hätte. Screenshots (c) Blizzard Entertainment

Als Blizzard lernte, seiner Welt Charakter zu verleihen

Das Königreich Azeroth geht am Ende von Warcraft: Orcs & Humans entweder unter oder schlägt die Invasoren zurück, je nachdem, ob man die Ork- oder Menschen-Missionen erfolgreich beendet. Für den Nachfolger Warcraft II: Tides of Darkness musste sich Blizzard entscheiden, welche Variante zum Kanon werden sollte, welche Geschichte also als „offiziell“ für die Geschichtsschreibung der Welt von Warcraft gilt. Hier zeigt sich erstmals: Den besten Weltenbau betreibt Blizzard, wenn das Team zu solchen Entscheidungen gezwungen wird.

Azeroth ist zu Beginn von Warcraft II: Tides of Darkness ein gefallenes Land, die Überlebenden der orkischen Invasion retten sich übers Meer nach Norden in das Königreich Lordaeron. Sie schmieden dort eine Allianz aus Menschen, Elfen und Zwergen, während die Orks der Horde ihre Reihen mit Trollen und Ogern verstärken und eine neue Offensive vorbereiten.

Endlich bekommt die Welt ihr eigenes, charakteristisches Flair.

Im Jahr 1996 katalogisieren die Anleitungen von Warcraft II und der Erweiterung Beyond the Dark Portal erstmals alle Zusammenhänge dieses Konflikts. Sie beschreiben die Nationen der Menschen, Elfen und Zwerge und die Clans der Orks, neue Landkarten erweitern das winzige Szenario des ersten Teils zu ganzen Kontinente auf beiden Seiten des Dunklen Portals. Die führenden Akteure werden portraitiert, viele dieser Namen sind heute die Grundfesten des Warcraft-Mythos: Gul’dan, Anduin Lothar, Orgrim Doomhammer, Uther Lightbringer, Ner’zhul, Deathwing. Endlich bekommt die Welt von Warcraft ihr eigenes, charakteristisches Flair.

Wer heute World of Warcraft spielt oder den Kinofilm anschaut, wird viele dieser damals gelegten Grundsteine sofort wiederfinden. Wie hat es Blizzard geschafft, über so lange Zeit eine Welt aufzubauen, in die sich alles Neue scheinbar nahtlos einfügt? Die Antwort: Das ist Blizzard überhaupt nicht gelungen, sondern nur eine Illusion.

Die seltsame Karriere einer winzigen Inselgruppe

Die Insel mit dem Grab eines gewissen Sargeras ist einer der Schauplätze der Ork-Kampagne von Warcraft II. Wie wenig in der Weltenbau-Geschichte von Warcraft tatsächlich in Stein gemeißelt war, lässt sich beispielhaft an diesem Ort ablesen. Innerhalb von 20 Jahren entwickelt er sich von einem kleinen Inselchen zu einer Landmasse von der Größe eines kleinen Kontinents und wechselt dabei ständig seine Position auf der Weltkarte.

Als der Ork-Hexenmeister Gul’dan in Warcraft II die Insel erstmals aufsucht, um sich die Geheimnisse des Dämonenlords Sargeras anzueignen, liegt sie unmittelbar vor der Westküste von Azeroth:

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(c) Blizzard Entertainment

In Warcraft III: The Frozen Throne verfolgt die Nachtelfen-Wächterin Maiev Shadowsong ihren flüchtigen Gefangenen Illidan Stormrage zum Grab des Dämonenlords und erfährt dabei, dass Gul’dan Jahrzehnte zuvor dort seinen Tod fand. Doch jetzt ist die Insel Teil eines ganzen Archipels und liegt nicht mehr vor Azeroth, sondern gefährlich nahe am ewigen Sturm „Mahlstrom“ zwischen den Alten Königreichen und den Kontinenten Northrend und Kalimdor, die mit Warcraft III eingeführt worden waren:

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Ganz schön weit verrutscht: Beim roten Punkt befindet sich das Grab von Sargeras in Warcraft III. (c) Blizzard Entertainment

In World of Warcraft schließlich waren die Inseln zunächst überhaupt nicht verzeichnet. Mit der kommenden Erweiterung Legion wird das „Broken Isles“ Archipel sogar zur Hauptbühne. Der Hexenmeister Gul’dan kehrt aus einer alternativen Zeitlinie zum Grab von Sargeras zurück. Aus dem Inselchen wird ein halber Kontinent:

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Hier schön zu erkennen: Die Welt von Warcraft hat scheinbar eine heitere Plattentektonik. Früher lagen die Kontinente enger beeinander. (c) Blizzard Entertainment

Die steile Karriere eines Nebenschauplatzes aus Warcraft II liegt an der beständigen Erweiterung des Warcraft-Kosmos insgesamt: Die Insel mit Grabmal wurde immer wichtiger, je prominenter der dort begrabene Sargeras wurde, dabei ist er bis jetzt in keinem Spiel persönlich in Erscheinung getreten. In Warcraft I waren Dämonen bloß eine Art Magiequelle für die Orks und lebten in einer nicht näher definierten Unterwelt. Schon für Warcraft II wurde dies revidiert, dort hausen die Dämonen in einer Zwischendimension namens Wirbelnder Nether. Sargeras ist ein mächtiger Dämonenlord, der einst besiegt und mit seinen Geheimnissen „vor 1.000 Jahren“ auf einer Insel begraben wurde.

Warcraft III ändert die Geschichtsschreibung

In Warcraft III: The Frozen Throne wird Sargeras zum Führer der Brennenden Legion befördert, einer dämonischen Armee, die zahllose Welten verschlungen hat und das auch mit Azeroth vorhatte – und dafür die Orks instrumentalisierte und als Vorhut schickte. Das war allerdings laut der aktualisierten Geschichtsschreibung von Warcraft III schon der zweite Versuch: Die erste Invasion vereilteten die mit dem Spiel neu eingeführten Nachtelfen, die Sargeras‘ Niederlage jetzt auch nicht mehr vor 1.000, sondern vor 10.000 Jahren besiegelt hatten. Die Menschen und Orks, die bisher am Nabel des Konflikts der Welt von Warcraft existierten, wurden dadurch zu Spielbällen eines viel größeren und älteren Kriegs mit viel mehr Beteiligten. Dafür sind die Orks mit einem Mal aber auch keine böswilligen Invasoren mehr, sondern eine ehemals schamanistische Kultur, die von dunklen Mächten verdorben worden war.

Mit World of Warcraft schließlich wurde aus Sargeras, dem dunklen Führer der Brennenden Legion, ein gefallener Gott: Über diverse Erweiterungen erzählt das Spiel den Schöpfungsmythos der Welt von Warcraft, die von göttlichen Titanen geschaffen worden war. Sargeras war demnach einer von ihnen, bevor er sich zum Führer der Dämonenhorden aufschwang, die er zuvor bekämpft hatte.

Und für einen Gott reicht ein kleines Inselchen eben nicht aus.

Das Blizzard-Geheimnis: Alte Geschichten neu erzählen

Mit World of Warcraft machte die Welt ihre größten Sprünge, denn auch hier wurde Blizzard wieder zu Entscheidungen gezwungen: Wo in den Echtzeit-Strategiespielen die Schauplätze der Geschichte schlaglichtartig beleuchtet werden konnten, durften Spieler in dem Online-Rollenspiel die Welt von Warcraft erstmals völlig frei erkunden. Dafür musste Blizzard alle weißen Flecken auf den Landkarten tilgen.

Millionen Spieler erlebten so die „bereinigten“ Versionen der Ereignisse.

World of Warcraft ist auch der Grund, warum die Welt mit ihrer langen Geschichte heute so poliert und stimmig wirkt: Immer wieder konnten Spieler Ereignisse aus der Geschichte der Welt durch Zeitsprünge und alternative Zeitlinien erleben. Was in Warcraft I bis III schon erzählt worden war, wurde dafür neu inszeniert – so konnte Blizzard bei Schlüsselereignissen Kanten abschleifen, stillschweigend Widersprüche beseitigen und neue Verbindungen schaffen. Millionen Spieler erlebten so die „bereinigten“ Versionen der Ereignisse.

Die Welt von Warcraft war daher bislang stets im Fluss. Damit könnte bald Schluss sein: Eine (sehr wahrscheinliche) Reihe von Filmen braucht einen klar definierten Kanon. Parallel versucht Chris Metzen, der seit vielen Jahren die Storyfäden für Warcraft bei Blizzard zusammenhält, die definitive Chronik des Universums herauszubringen. Band 1 ist bereits auf Englisch veröffentlicht. Ob er sein Werk wirklich beenden kann, bleibt abzuwarten – vielleicht muss er schon vorher wieder nachbessern.


Titelbild: Warcraft Promotional Poster (c) Universal Pictures / Thrall Hearthstone Art (c) Blizzard Entertainment / Ner’Zhul (c) Chris Metzen, Blizzard Entertainment / Bearbeitung durch Weltenbau Wissen

2 Gedanken zu „Der lange Weg zur Welt von Warcraft“

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