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Grundlagen für fiktive Religionen – Teil 1: Polytheismus

„Am Anfang war…“ – ja, was war eigentlich am Anfang? Auch fiktive Kulturen wollen diese Frage beantwortet wissen. Religion und Kosmologie sind wichtige Baustellen in einem Weltenbauprojekt. In einer Reihe beleuchtet Weltenbau Wissen verschiedene Wege, Schöpfer zu erschaffen und Götterglaube zu gestalten.

Eigene Mythen verleihen fiktiven Welten Tiefgang. Vielleicht ist das der Grund, warum besonders im Fantasygenre polytheistische Religionen fast omnipräsent sind: Die Parallelen zu den Pantheons der Antike schaffen gleich ein Gefühl von Geschichte und Tradition. Besonders bekannt als Vorlagen sind die Götterwelten der Griechen und Römer, der Ägypter sowie der altnordischen Götter. Tatsächlich waren wenige Religionen des Altertums nicht vom Glauben an mehrere Götter geprägt. Im Mittelmeerraum und Vorderasien kannten die Sumerer, Babylonier und Assyrer ebenfalls eigene Pantheons, auch die mittel- und südamerikanischen Hochkulturen der Maya, Azteken und Inka beteten verschiedene Götter an.

Heute ist Polytheismus eher die Ausnahme und spielt als verbreitete Religionsform nur noch in Asien eine Rolle, in Reinform vor allem im Volksglauben der Chinesen und im japanischen Shintō. Dort gibt es allerdings kein etabliertes Pantheon, sondern eine unbegrenzte Vielzahl von Göttern, die viele sehr unterschiedliche Formen haben können. Im Hinduismus gibt es neben polytheistischen auch monotheistische und dualistische Lehren.

Verehrenswert ist, was im Alltag nützt

Viele Götter anbeten zu können erfüllte im Altertum sehr praktische Funktionen, was die Vorherrschaft von Religionen mit einer Vielzahl von Göttern in der Bronze- und Eisenzeit erklärt. Mit rituellen und magischen Handlungen versuchte man, sich gegen Schaden wie Krankheiten und Ernteausfälle abzusichern und günstiges Wetter, Fruchtbarkeit und Schutz zu bekommen. Dafür stellte man sich für das jeweilige Problem ansprech- und beeinflussbare Wesen vor. Wenn eine Zivilisation wuchs, wuchs die Götterwelt mit. Einige Wesenheiten wurden von anderen für ihren Zweck ersetzt, andere, zunächst auf bestimmte Standorte beschränkte Geister und Götter schafften es bis zur Staatsdoktrin. Der Götterdienst wurde dabei ebenfalls komplexer: Priesterstände kümmerten sich um die notwendigen Riten und die korrekte Auslegung der Religion. Dabei waren die Vorstellungen selten exklusiv – andere Götter und Glaubensvorstellungen konnten durchaus im- oder exportiert werden. So war beispielsweise Ägypten in griechisch-römischer Zeit politisch nur noch wenig bedeutsam, der Isis- und Osiris-Glaube war jedoch ein Exportschlager in andere Regionen des Mittelmeerraums und vermischte sich dort mit den einheimischen Götterwelten.

Der Volksglaube war pragmatisch

Der Volksglaube war meist pragmatisch: Die Alltagsverehrung wurde Göttern zuteil, die in ihren „Zuständigkeiten“ auch das Leben der kleinen Leute berührten. Oft spielte daher neben den Göttern des jeweiligen Pantheons auch die Verehrung von Ahnen oder Haus- und Familiengöttern eine Rolle. Die Römer pflegten trotz der komplexen Staatsreligion mit ihren monumentalen Tempeln private Kultorte in Form von Herd- und Hausschreinen. Bei den Maya wiederum hatten die Götter eine weniger entrückte Stellung und waren wohl auch in den Augen des einfachen Volkes zugänglicher.

Die Errichtung von großen Kultstätten war jedoch kompliziert und teuer und damit in der Regel Projekte der herrschenden Klasse. Der Sonnenkult der Inka beispielsweise war eine Staatsdoktrin, durch den der Adel die Vorherrschaft der Inka als „Kinder der Sonne“ legitimierte. In vielen Pantheons finden sich solche Wesenheiten, die eine hervorgehobene Stellung unter den anderen Göttern genossen und als Patron von Herrschern und Königen genutzt wurden. In Rom erfüllte Jupiter diese Funktion, im babylonischen Reich Marduk, im alten Ägypten Horus. Nicht selten beanspruchten die jeweiligen Herrscher einen göttlichen Status für sich selbst, oft in Form direkter oder indirekter Nachkommenschaft eines Gottes.

Typische „Charaktere“

Grundsätzlich kann eine polytheistische Religion beliebig viele Götter einschließen. Auch die besonders bekannten historischen Pantheons waren nicht festgelegt, sondern stets im Wandel: Weniger bedeutende Götter gingen in bekannteren Gottheiten mit ähnlichem Zuständigkeitsbereich auf, Aufstieg und Fall mancher Götter hing eng mit der politischen Situation zusammen, manchmal mit ihrer Bedeutung in wirtschaftlich schweren Zeiten.

Dennoch lassen sich über verschiedene Kulturen hinweg bestimmte typische Charaktere bestimmen, die häufig Teil eines Pantheons sind:

  • Himmelsgottheit
  • Kulturheros (Entdecker oder Vermittler einer wichtigen Kulturtechnik, zum Beispiel des Feuers oder eines Gesetzeswerks)
  • Liebesgottheit
  • Muttergottheit
  • Politische Gottheit (zum Beispiel ein mystischer König)
  • Schöpfergottheit
  • Sonnengottheit
  • Totengottheit
  • Trickster (Stifter von Unordnung und Tabubrecher, häufig identisch mit dem Kulturheros)
  • Wassergottheit
  • Wiedergeborene Gottheit (oder regelmäßig sterbende und wiedergeborene Gottheit)
  • Gottheiten für verschiedenen Tätigkeiten und Kulturbereiche wie Wissen, Handwerk, Jagd, usw.

Für ein Weltenbauprojekt gibt es natürlich keine Vorgaben, wie eine polytheistische Religion auszusehen hat. Es dürfte der Glaubwürdigkeit aber zuträglich sein, sich an der Liste zumindest zu orientieren.

Die polytheistischen Götterwelten des Altertums sind heute weitesgehend durch monotheistische Religionen verdrängt. Einen Überblick und Ideen für eigene Konzepte liefert Teil 2.

Titelbild: Camouflaged!, (CC BY 2.0) Vinoth Chandar/Flickr

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